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Dienstag, 20.09.2005

NRZ Artikel vom 20.9.05 von Jens Dirksen

Das Kunstwerk als Gast und Platzhirsch
DEBATTE / Eine Tagung im Lehmbruck Museum fragte nach Kunst im öffentlichen Raum - auch für die Kulturhauptstadt.

JENS DIRKSEN

DUISBURG. Vielleicht sind es ja Christos unbeschwerte Freiluftverschönerungen von Stadt und Land, die das Denken über Kunst im öffentlichen Raum einschneidend verändert haben. Zumindest haben sie gezeigt, dass Befremdung, Empörung und Streit nicht das einzig denkbare Echo auf künstlerische Eingriffe an Gebäuden, in Landschaften sind.
Und doch gibt sich eine Plastik wie Serge Spitzers tonnenschwere Spirale mitten in der Essener Innenstadt redlich Mühe, in jeder Hinsicht im Weg zu stehen: ein rundgebogenes Stahlträgertrumm, so schmutziggrau wie früher fast alles im Revier, ein Mahnmal des Grimms, das wie mit verschränkten Armen dasteht. Und das am Rande des Kennedyplatzes, der gerade dabei ist, an Urbanität, an Lebensqualität zu gewinnen. Das krasse Gegenteil ist zwanzig Kilometer weiter auf der Duisburger Königstraße zu bestaunen, und es steht mit weit ausgebreiteten Armen da, riesengroß und lebensbunt, Niki de Saint Pahlles vogelähnliches "Life Saver" - Wesen, ein wassersprühender Gegenentwurt zur architektonischen Wüste der Bankenpaläste ringsum, ein Stück Humanität in tierischer Verkleidung. Auch hier gab es anfangs die Skepsis der Passanten; aber spätestens seit bekannt wurde, dass dieser Kunst-Brunnen weitgehend aus Spenden bezahlt wurde, entwickelte sich der "Life Saver" fast zum Identifikationsobjekt, zumindest aber zu einem Wahrzeichen für Duisburg, jenseits von Stahl, Pils und Zebras.

 

Skandale sind kein Qualitätsmerkmal

Außer dem Ort und der ästhetischen Qualität scheint bei Kunst im öffentlichen Raum auch der Gestus des Kunstwerks eine Rolle zu spielen: Das hermetische, absolute Kunstwerk, wie es im Museum auf eine Auseinandersetzung mit all jenen wartet, die sich bewusst zu ihm hinbegeben - im öffentlichen Raum versagt es. Hier ist die Kunst nicht mehr zu Hause, sondern ein Gast, der nicht unbedingt röhren sollte wie ein Platzhirsch. Freiluftkunst sollte offen sein und relativ. Sollte Beziehungen mit der Umgebung aufnehmen, einladen zum Sehen, Empfinden und Denken.

Und so warnte Walter Grasskamp, einer der führenden deutschen Kunsthistoriker, am Wochenende auf einer Tagung im Duisburger Lehmbruck Museum vor dem Fehlschluss, dass alles, worüber das Publikum sich aufrege, schon gute Kunst wäre: "Die Geschichte der modernen Kunst anhand ihrer Skandale zu schreiben hieße schon, ihr und ihrer gezielten Aufmerksamskeits-Erschleichung auf den Leim zu gehen."
Im 19. Jahrhundert seien auch schon viele der unsäglichen Bismarck-Denkmäler umstritten gewesen, und das nicht einmal aus politischen Gründen. Grasskamp, der origineller Weise neben Rodins "Bürgern von Calais" vor allem Parks und Kaminlandschaften des populären spanischen Architekten Antonio Gaudi am Anfang der modernen Kunst im öffentlichen Raum sieht, erinnert allerdings auch daran, dass es in Duisburg schon vor der Nazizeit eine Anti-Lehmbruck-Kampagne nach dem Motto "Hinweg mit der Knienden!" gegeben hat, die tatsächlich damit endete, dass die Plastik vom Mob umgeworfen wurde: Manchmal war es eben doch Kunst von hohem Rang, die Empörung ausgelöst hat.

Heute ist das Publikum allerdings gelassener geworden, es weiß um die zuverlässig einkehrende Gewöhnung: Keine noch so hässliche Skulptur widersteht auf Dauer dem Gleichmut, den die Menschen im Revier notgedrungen im Umgang mit der oft unterdurchschnittlichen Architektur der Städte entwickeln mussten.

Das Symposion im Lehmbruck Museum, veranstaltet vom Kultursekretariat NRW und vom Duisburger Festivalbüro als Projekt der Landes-Initiative Stadtbaukultur, sollte auch ergründen, welche Kunst für den öffentlichen Raum denn die richtige für Europas Kulturhauptstadt des Jahres 2010 sein könnte - so sie denn im Ruhrgebiet liegt.

 

Die Menschen sitzen nicht im Park, sondern im Auto

Hier setzen auch die Grundsatz-Überlegungen des in paris lebenden Konzeptkünstlers Jochen Gerz an, der warnte: "Im Revier wird ja aus jeder Hütte ein Museum gemacht, als sei die Besucherschlange schon die Lösung von allen Problemen." Überhaupt zwifelte Gerz den Anspruch der Kunst der Moderne an, die Lösung aller Problem zu sein - sie sei doch längst Teil des Problems. Kunst dürfe nicht als Konsumgut begriffen werden, sie müsse das Publikum zum Autor, zum Urheber machen. Und sie dürfe nicht dort verschwinden, wo sich niemand mehr aufhalte: "Die meisten Menschen sitzen nicht im Park, sondern im Auto." Vielleicht muss Kunst für ein vorbeifahrendes, ein vorübergehendes Publikum also selber vorübergehend sein, damit sie wirken kann. (NRZ)

Niki de Saint Phalles "Life Saver" in Duisburg. Foto: Wolfgang Zschauer

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